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Autismus bei Frauen - die verborgene Realität


Autismus wird oft als ein Thema betrachtet, das vor allem Jungen und Männer betrifft. Dies liegt jedoch nicht daran, dass autistische Mädchen und Frauen seltener vorkommen, sondern daran, dass sie in der Vergangenheit häufig übersehen oder falsch diagnostiziert wurden. Das führt zu einer signifikant niedrigeren Diagnoserate bei Frauen, ein komplexes Phänomen, das weitreichende Konsequenzen hat.


Autistische Mädchen und Frauen entwickeln oft frühzeitig Strategien, um in sozialen Situationen besser zurechtzukommen. Diese Masking-Strategien umfassen das bewusste Imitieren sozialer Normen, das Aufrechterhalten von Blickkontakt und das Praktizieren von Small Talk. Doch vielleicht sollten wir Masking eher als „Mimikry“ betrachten – als eine Überlebensstrategie, um sich vor den Gefahren der neuronormativen Welt zu schützen. Diese Gefahren bestehen in den Herausforderungen sozialer Situationen, den hohen Erwartungshaltungen und dem Druck, in verschiedensten Systemen zu funktionieren.


Während autistische Jungen und Männer eher durch ihr Verhalten auffallen, fliegen Mädchen und Frauen oft „unter dem Radar“, da sie ihre Symptome geschickt verbergen.

Die Tatsache, dass die Diagnosekriterien für Autismus ursprünglich auf männlichen Mustern basierten, verschärft das Problem. Mädchen und Frauen zeigen oft andere Verhaltensweisen und Interessen als ihre männlichen Pendants, die in den traditionellen Diagnoseverfahren nicht ausreichend berücksichtigt werden. In vielen Kulturen wird zudem erwartet, dass Mädchen und Frauen sozialer und einfühlsamer sind. Diese Erwartungen führen dazu, dass autistische Mädchen, die versuchen, sich anzupassen, als schüchtern oder introvertiert wahrgenommen werden – Fehldiagnosen oder eine verzögerte Diagnose sind die Folge.

Trotz dieser Herausforderungen hat sich in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen. Die Diagnoseraten bei Frauen steigen stetig an, was auf ein wachsendes Bewusstsein und verbesserte Diagnosemethoden zurückzuführen ist. Forschung und Praxis beginnen langsam, die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Autismus anzuerkennen und zu adressieren.


Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist das 2020 von Michelle Garnett und Tony Attwood zusammen mit Kolleg*innen entwickelte Screening-Tool, das spezifisch für die Diagnose von Autismus bei Frauen ausgelegt ist. Doch so wertvoll dieser Ansatz auch ist, das Tool bleibt in seiner Komplexität noch begrenzt und kann eher als ein erster zaghafter Versuch in die richtige Richtung gesehen werden. Es gibt noch viel zu tun, um die Vielfalt autistischer Erfahrungen vollständig zu erfassen.


Noch weniger Berücksichtigung finden dabei autistische Personen im LGBTQIA+ Bereich. Auch hier hoffe ich, dass es nicht noch weitere Jahrzehnte dauert, bis in der Diagnostik erkannt wird, was die Statistik heute schon sagt: Dass es in dieser Gruppe mehr autistische Menschen gibt als vergleichsweise bei neuronormativen. Die Zukunft des Autismus-Verständnisses liegt in der Berücksichtigung aller Geschlechter und Identitäten. Nur so können wir sicherstellen, dass jede*r die Unterstützung erhält, die sie oder er benötigt.



Liebe Diagnostiker*innen, der Weg ist noch lang – aber jede Erkenntnis bringt uns näher an ein inklusiveres und genaueres Verständnis von Autismus. Bleibt dran, es lohnt sich!

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