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Diskriminierung, nicht Autismus, hält Menschen im Job zurück


In einem Artikel auf der Harvard Business Review schreibt die Organisationspsychologin und Autistin Ludmila N. Praslova über die Herausforderungen, denen neurodivergente Menschen im Arbeitsumfeld begegnen, und was Unternehmen tun können, um wirklich inklusiv zu sein. Sie berichtet aus ihrer eigenen Erfahrung und bietet Einblicke, die nicht nur für Führungskräfte, sondern für alle Kolleg*innen wertvoll sind.


Einige zentrale Punkte aus ihrem Beitrag


Produktivität durch passende Rollen

Praslova verweist auf Studien, die zeigen, dass autistische Fachkräfte bis zu 140 % produktiver sein können als ihre Kolleg*innen – vorausgesetzt, sie werden in die richtigen Rollen eingebunden. Das bedeutet, dass ihre Aufgabenbereiche ihren Fähigkeiten entsprechen und sie nicht durch Anforderungen belastet werden, die ihnen unnötige Hürden aufbauen. Ein Beispiel: Eine autistische Softwareentwicklerin, die sich auf tiefgehende Analysen spezialisiert, wird besonders erfolgreich sein, wenn sie sich auf komplexe Problemlösungen konzentrieren kann und nicht durch ständige Meetings aus ihrem Flow gerissen wird.

Die Botschaft ist klar: Unternehmen sollten Talente gezielt dort einsetzen, wo ihre Stärken am besten zur Geltung kommen. Das erfordert jedoch ein Umdenken in der Personalauswahl und eine individuelle Betrachtung jenseits starrer Rollenerwartungen.


Diskriminierung im Bewerbungsprozess

Praslova thematisiert auch die Schwierigkeiten, die viele neurodivergente Menschen im Bewerbungsprozess erleben. Sie beschreibt, wie Bewerber*innen oft versuchen, neuronormative Verhaltensweisen zu imitieren – etwa durch erzwungenen Blickkontakt, übermäßige Höflichkeitsfloskeln oder das Verschweigen von sensorischen Herausforderungen. Dieser Anpassungsdruck geht nicht nur auf Kosten der Authentizität, sondern wirkt sich langfristig negativ auf die psychische Gesundheit aus.

Ein Beispiel, das Praslova nennt, ist der "Cultural Fit": Unternehmen suchen oft nach Menschen, die in bestehende Teams passen, was unbewusste Diskriminierung fördert. Sie schlägt vor, den Fokus auf "kulturelle Bereicherung" zu legen – also darauf, wie eine Person mit ihren einzigartigen Perspektiven das Team ergänzen kann.


Mythen über Autismus

Ein weiterer zentraler Punkt des Artikels ist die Auseinandersetzung mit medialen Stereotypen. Praslova kritisiert, dass Autist*innen häufig als unemotionale Tech-Expert*innen dargestellt werden. Dieses Bild ist nicht nur einseitig, sondern auch schädlich, da es die Vielfalt innerhalb des Autismus-Spektrums ignoriert.

Sie nennt ein Beispiel aus der Filmindustrie: Charaktere wie der "geniale Hacker" oder "exzentrische Mathematiker" prägen die öffentliche Wahrnehmung, während empathische oder kreativ-künstlerische Fähigkeiten von Autist*innen kaum thematisiert werden. Solche Stereotypen erschweren es, neurodivergente Menschen ganzheitlich zu verstehen und wertzuschätzen.


Wichtige Maßnahmen

Praslova plädiert für konkrete Maßnahmen, um neurodivergente Menschen langfristig erfolgreich ins Arbeitsleben einzubinden. Dabei betont sie, dass flexible Arbeitsmodelle ein erster Schritt sind, aber echte Zugehörigkeit entscheidend ist. Dies bedeutet unter anderem:


  • Individuelle Anpassungen: Unternehmen sollten bereit sein, Arbeitsumgebungen auf individuelle Bedürfnisse abzustimmen, etwa durch sensorische Anpassungen oder die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten.

  • Inklusive Führung: Führungskräfte sollten darin geschult werden, neurodivergente Teammitglieder zu unterstützen und ihre Perspektiven wertzuschätzen. Ein Beispiel: Regelmäßige Feedbackgespräche, in denen spezifisch nach Herausforderungen und Verbesserungsvorschlägen gefragt wird.

  • Schaffung von Safe Spaces: Der Arbeitsplatz sollte ein Ort sein, an dem neurodivergente Menschen sie selbst sein können, ohne Angst vor Diskriminierung zu haben. Praslova betont, wie wichtig es ist, psychologische Sicherheit zu gewährleisten.



Über The Canary Code

Dr. Larissa Praslova ist nicht nur eine erfahrene Expertin auf diesem Gebiet, sondern auch die Autorin von The Canary Code: A guide to inclusive leadership and workplace equity. Das Buch bietet einen Leitfaden für Führungskräfte, die nicht nur die Inklusion, sondern auch die langfristige Gleichberechtigung am Arbeitsplatz fördern möchten. Es verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit praxisnahen Tipps und ist eine klare Leseempfehlung für alle, die sich mit dem Thema beschäftigen möchten.


Fazit

Dr. Praslova zeigt eindrucksvoll, wie wichtig es ist, neurodivergente Menschen nicht nur einzubinden, sondern aktiv ihre Perspektiven und Stärken zu nutzen. Die genannten Maßnahmen und Erkenntnisse sind nicht nur inspirierend, sondern auch umsetzbar – wenn Unternehmen bereit sind, ihre Strukturen zu hinterfragen und neu zu denken.

Es handelt sich oft nicht um individuelle Vorurteile, sondern sowohl um eine subtile als auch um eine strukturelle Diskriminierung.


Quelle

Der Originalartikel mit dem Titel „Autism Doesn’t Hold People Back at Work. Discrimination Does.“ wurde am 13. Dezember 2021 auf der Website der Harvard Business Review veröffentlicht. Du kannst ihn hier lesen.

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